Als ich Jugendliche war, verging kein Tag, an dem mein Vater nicht über die Linken schimpfte. Heute stelle ich schmunzelnd fest: Es vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht über die Rechten ärgere. Wobei mein Vater die SPDler meinte (und die „Langhaarige“), ich meine die Rechtspopulisten und Rechtsextremen und diejenigen der Rechten, die den Rechtsstaat untergraben wollen. Die Zeiten haben sich doch verändert. Heute muss man um die demokratische Mitte fürchten, das war in den 1960er- und 1970er-Jahren noch nicht so.
Als Schülerin war ich entrüstet über die Leser der „Bild am Sonntag“ in meiner überwiegend akademisch geprägten Familie. Zu Abiturzeiten kaufte ich mir ab und zu die ZEIT und kam mir damit schon ganz progressiv vor. Ich kaufte mir auch früh ein Büchlein mit dem Titel: „Argumente gegen Stammtischparolen“. Es blieb aber beim stummen Protest.
Politisch sozialisiert wurde ich ab Mitte der 1970er-Jahre während der Studienzeit. Frauengruppe, politische Diskussionen im Umfeld der Universität, das hat mich geprägt. Um Aktionen wie die Besetzung des Collegium Academicum in Heidelberg schlich ich mich aber immer herum. Ich war kein mutiger Typ.
Jahrzehntelang habe ich mich nicht sonderlich für Politik interessiert. Ich war vollauf beschäftigt mit dem Auf und Ab des Privatlebens und den Tücken des Berufslebens. Erst als ich meinen Mann kennenlernte, begann ich regelmäßig Zeitung zu lesen. Heute lese ich die Lokalzeitung, den SPIEGEL und die TAZ.
2003 zog ich mit meinem Mann und meiner Tochter in meine Heimatstadt Heilbronn zurück. Anlässlich des Neuanfangs in der neuen (alten) Stadt überlegte ich ernsthaft, ob ich nicht in die Kommunalpolitik einsteigen sollte. Ich besuchte deshalb ein Seminar zum Thema Frauen in der Kommunalpolitik. Ich schrieb in dieser Zeit auch einen Leserbrief, der in der Lokalzeitung veröffentlicht wurde. Meine Mutter war not amused! Schlimm genug, dass ich die Grünen wählte, nun auch noch Aussicht auf eine exponierte Stellung. Noch bevor ich anfing, verließ mich der Mut. Aus Rücksicht auf die Familie? Eher aus Feigheit.
Mein Interesse am Thema Argumentieren gegen Stammtischparolen bzw. gegen rechte, menschenverachtende Ideologie hat mich immer begleitet. Ich besitze heute viel Literatur zu diesem Thema. Ich habe in der Zeit vor Corona auch an einigen Seminaren zu diesem Thema teilgenommen. An zwei Veranstaltungen erinnere ich mich ganz besonders, einen Workshop von Dagmar Wirtz bei der katholischen Erwachsenenbildung und einen Workshop des Vereins Kleiner Fünf beim Demokratiezentrum in Heilbronn. Ich war auch bereit, mich selbst in das Thema einzuarbeiten und wollte Seminare an der Volkshochschule anbieten. Der zuständige Referatsleiter meinte, dafür würde sich in Heilbronn niemand interessieren. Er nahm das Angebot gar nicht in sein Programm auf. Bei seiner Nachfolgerin stieß ich auf mehr Interesse. Das Angebot im vhs-Programm fand aber tatsächlich keinen Nachhall. Ich vermute, dass das heute anders geworden ist. Die Menschen schimpfen viel mehr öffentlich über Politik und die Politiker, auch im öffentlichen Bereich, und es gibt meiner Einschätzung nach Interesse und Raum für Diskussion.
Als Sinologin habe ich mich beruflich stark auf die VR China konzentriert. Wie die allermeisten meiner Kolleg*innen freute ich mich über das politische Tauwetter nach dem Ende der Kulturrevolution im Zusammenhang mit der Reform- und Öffnungspolitik ab 1978. Wirtschaftliche Interessen und gesellschaftliche Austausch standen im Mittelpunkt der deutsch-chinesischen Beziehungen. Seit dem Antritt von Xi Jinping als KP-Chef und Staatspräsident kann man erkennen und erleben, wie sich das Land in Richtung totalitärer Staat entwickelt. Freunde und Bekannte in China sind vorsichtig geworden und wollen politisch nicht anecken. Das ist schon gegeben, wenn man zum Beispiel in wissenschaftlichen Veröffentlichungen leichte Kritik an nicht zum Kernbereich der Politik gehörigen Teilsystemen äußert und damit gegen den Grundsatz „Die Geschichten Chinas positiv erzählen“ verstößt. Bei diesen Entwicklungen kann ich nur zuschauen, allenfalls meine Sichtweise bei uns hier kommunizieren und Wege suchen, um über China zu informieren.
In Deutschland ist das anders. Hier können wir uns einbringen. Nach den großen Demonstrationen zu Beginn des Jahres 2024 begann ich darüber nachzudenken, wo ich mich engagieren könnte, über die Teilnahme an lokalen Demonstrationen hinaus. Ich fand keinen richtigen Zugang zum Heilbronner Netzwerk gegen rechts. Mein Angebot zur ehrenamtlichen Mitarbeit beim Demokratiezentrum Heilbronn fand keine Resonanz.
Den Gedanken, bei den Omas gegen rechts mitzumachen, fand ich überlegenswert. Es gefällt mir, dass diese Altersgruppe der Omas sich einmischt.
Mir gefällt der überparteiliche Ansatz der Omas gegen rechts, wie das in der Bündnisrede anlässlich der Verleihung des Aachener Friedenspreises dargestellt wurde zur Frage, was „gegen rechts“ bedeute:
Rechts ist zunächst einmal eine Ortsbezeichnung. Rechts sitzen im Parlament die konservativen Parteien, vom Präsidium aus gesehen. Das heißt aber nicht, dass die OMAS gegen Konservative sind, denn konservativ zu sein ist nicht unbedingt das Schlechteste. Außer es richtet sich gegen das, woFÜR die OMAS stehen:
FÜR die Würde aller Menschen
FÜR die seit 75 Jahren gelebte Demokratie
FÜR Gleichheit und Gleichberechtigung
FÜR Asyl
FÜR den als Menschenrecht anerkannten Klimaschutz
FÜR freie Meinungsäußerung, ohne Beleidigungen, Herabsetzungen, Bedrohung
FÜR Selbstbestimmung
FÜR Vielfalt und Diversität
Und natürlich FÜR das Grundgesetz mit seinen 146 Artikeln plus Dutzender Unterartikel.
Ich möchte als Oma gegen rechts auf Kommunikation setzen, wie das auch in der Rede angesprochen wurde:
FÜR dies alles gehen die OMAS auf die Straße, versuchen mit denen zu diskutieren, die das alles in Frage stellen, abschaffen, zum Schlechten für viele ändern wollen –und manchmal klappt es auch mit dem Diskutieren.
Nun werde ich also meinen ganzen Mut zusammennehmen und mich als Oma gegen rechts auf den Weg machen.