In der Wechat-Gruppe sino.de wurde vor kurzem die Frage gestellt: Was tun nach dem Bachelor in Sinologie?

Gestern wie heute haben es die meisten Sinologînnen nicht leicht, den Weg in den Beruf zu finden. Ich kann „ein Lied davon singen“! Heute mit 66 Jahren blicke ich zurück auf eine „Karriere“ als Sinologin – im Rückblick ein steiniger Weg.

Wenn ich mir anschaue, wie viele Generationen von Sinologînnen nach dem Studium in ganz anderen Arbeitsbereichen landeten, finde ich das sehr bedauerlich. Ich habe nur mit größten Durchhaltewillen magere Berufsjahre überlebt und schließlich meine Nischen gefunden. Eine Familie hätte ich auf diese Weise nicht alleine ernähren können – da hätte ich andere Entscheidungen treffen müssen, die mich vielleicht auch von der Sinologie weggeführt hätten.

Die wichtigste Botschaft zuerst

Nie nur Sinologie!

Ein Sachfach als zweites Hauptfach ist meiner Ansicht nach unerlässlich – Volkswirtschaft, BWL, Jura oder ein ganz anderes Interessengebiet wie Pädagogik oder Kunstgeschichte. Sinnvoll kann auch sein, sich nicht nur auf China zu konzentrieren. Expertise über Korea, Japan, Vietnam oder Indien ist sicher eine gute Ergänzung.

Die Krux ist, dass ein Studium eines MINT-Fachs kombiniert mit chinesischen Sprachkenntnissen und Aufenthalt in China oft mehr zählt als ein Sinologiestudium. Der Grund ist einfach: Sprache und Kulturwissen sind sekundäre Kompetenzen, die sehr gut komplementär funktionieren, aber als Basis für einen Beruf oftmals nicht ausreichen.

Es gibt Menschen, die das Talent haben, sich zu „vermarkten“, die ihre Chancen nutzen und für die das Sinologie-Studium Sprungbrett für wirklich interessante Tätigkeiten war. Es gilt, sich genau anzuschauen, was diese Glücklichen gemacht haben, um am Ende erfolgreich zu sein. In der Reihe „Sinologie in den Beruf“ des „Sinologie Heidelberg Alumni Netzwerks (SHAN)“ stellen Sinologînnen ihren Berufsweg vor. Ein sehr guter Ansatz zu Inspiration.

Unabdingbar: Netzwerken, was das Zeug hält

Meine zweite Botschaft: Netzwerken, netzwerken, netzwerken! Auch ich habe die meisten Jobs über Beziehungen und Empfehlungen bekommen. Dann kann man auf Vertrauen bauen oder im Anschluss Vertrauen aufbauen. In einigen wenigen Fällen traf ich auf Menschen, die mir spontan vertrauten und mir eine Chance gaben, ohne mich zu kennen.

Selbstvertrauen

Das hat mir über weite Strecken gefehlt – meine Kenntnisse genügten meinen Ansprüchen nicht. Am Ende meines Studiums hatte ich halbwegs gute Schriftzeichen- und Lesekenntnisse, mündlich bewegte ich mich auf dem Übergang zwischen A2 und B1. Wie sollte ich diese kärglichen Sprachkenntnisse zu Markte tragen?

Chancen

In den Achtzigerjahren (und auch später) habe ich zigmal gehört, dass einem mit Sinologie ja die Welt offen stehe – die Welt vielleicht schon, aber nicht die Welt der Wirtschaftsunternehmen. „Wir stellen Chinesînnen ein, die sind billiger als deutsche Arbeitskräfte und in China vor Ort“, hieß es aus Geschäftskreisen. Eine riesige Konkurrenz! Einmal war ich mit einem Vertreter einer Industrie- und Handelskammer im Gespräch, der mir sagte: „Bringen Sie Kontakte aus China, das wird gebraucht“. Ich war jedoch leider nie ein Consulting-Typ und kein Strippenzieher.

Lebensmittelpunkt China

Mitte der Achtzigerjahre habe ich 18 Monate in China gearbeitet. Heute denke ich, ich hätte damals meinen Lebensmittelpunkt nach China verlegen müssen, um beruflich Fuß zu fassen. Ich kenne etliche, die ihr ganzes Berufsleben in China verbracht haben.

Visionen

Nach dem Studium war ich enttäuscht von meinen bislang erworbenen Sprachkenntnissen und wollte fortan dazu beitragen, die Chinesischkenntnisse der nachkommenden Generationen auf ein akzeptables Niveau zu heben. Ich wollte Chinesischdozentin werden.

Diese Vision – Chinesischlektorin an der Universität – hat mich getragen. Da ich nicht promoviert war, konnte ich nicht an der Uni bleiben. Ich wollte auf keinen Fall auf der Stufe von Volkshochschulhonoraren steckenbleiben. Deshalb habe ich viele Jahre nicht unterrichtet.

Mitte der Nullerjahre flammte das Interesse an Chinesisch als Fremdsprache auf. Mit großer Freude sprang ich auf dieses Pferd auf und konnte schließlich fast 15 Jahre als Chinesischlehrerin am Gymnasium arbeiten.

Sehr gerne war ich tätig für die Kooperationen im Schulbereich, wie hier als Begleiterin des Schulleiters an der Partnerschule in Tongling.

Eigeninitiative

Ich bin oft den Tränen nahe aus dem Arbeitsamt (Arbeitsagentur) hinausgegangen. Es gab keinerlei Jobangebote für mich. Es gab dafür den Tipp eines Arbeitsberaters: „Es ist das Beste für Sie und es bleibt Ihnen im Grund nichts anderes übrig, als diesen Weg mit der Sinologie weiterzugehen.“

Glücklicherweise entschloss ich mich irgendwann, eine Kurz-Ausbildung in Projektmanagement bei einer renommierten Ausbildungsfirma zu machen, die Kosten dafür übernahm ich selbst.

Ich hatte dann den Mut, auf die Arbeitsagentur zuzugehen und nachzufragen, welche Möglichkeiten sie mir nun bieten konnten. Sowohl damals als auch zu Beginn meiner neuen (selbstgewählten) Freiberuflichkeit nach Ende meiner Zeit als Gymnasiallehrerin 2020 konnte ich phantastische Coachings in Anspruch nehmen, die mich beruflich weitergebracht haben. Bei meinem Coach Frau Margareta Jäger von Jäger Consulting in Heilbronn bedanke ich mich an dieser Stelle noch einmal herzlich.

Mehr Chancen für junge Sinologînnen!

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man manches im Leben, was man als jüngerer Mensch versäumt hat, später nicht nachholen kann. Ich wäre gerne Dolmetscherin für Chinesisch und Deutsch geworden. Aber irgendwann war dieser Zug abgefahren. Deshalb gilt es meiner Meinung nach, als junger Mensch die Zeit gut zu nutzen.

Ich hoffe sehr, dass junge Sinologinnen und Sinologen bessere Berufschancen bekommen als wir früher. Überall wird nun nach Chinakompetenz gerufen! Es gibt sehr viele Publikationen zu diesem Thema, z.B. hier. Ich hoffe, das wird auch umgesetzt in Jobangebote, bei denen auch ordentlich verdient werden kann. Es soll nicht bei Sonntagsreden bleiben!

Zm Schluss ein Wort in eigener Sache

In ihrem Artikel „Effektive Chinapolitik braucht strategische Empathie braucht mehr Chinakompetenz“ spricht Marina Rudyak (derzeit Vertretungsprofessorin an der Universität Göttingen) davon, dass die Bundesregierung in den Ausbau der strategischen Übersetzungs- und Analysekompetenz in Deutschland investieren muss. Sie spricht mir aus dem Herzen.

Ich bin im Ruhestand und kann nicht mehr richtig „mitmischen“. Im Rahmen meiner Möglichkeiten möchte ich dennoch meine Chinesischkenntnisse und das für das Verständnis von China notwendige Kontextwissen nutzbar machen und auch in Zukunft zur Förderung von Chinakompetenz in unserer Gesellschaft beitragen. Kommen Sie gerne auf mich zu, wenn Sie eine Möglichkeit sehen, wo ich mich einbringen kann.