Einen sehr schönen Nachmittag habe ich im Mai 2008 an der Akademie für chinesische Malerei der Provinz Jiangsu in Nanjing verbracht – eine Begegnung mit einem bekannten chinesischen Maler, organisiert vom Kunstlehrer unserer Partnerschule.

Als Begleitlehrerin bei Schülerreisen hatte ich in China sehr schöne Erlebnisse – insbesondere am Wochenende, wenn die Schüler*innen mit ihren Gastfamilien Ausflüge machten und uns Begleitlehrern von chinesischen Kolleg*innen ein spezielles Programm geboten wurde. Ich freue mich deshalb sehr darüber, wenn ich höre, dass wir auch in Deutschland die Begleitpersonen beim Besuch der Partnerschule mit Kultur, Sightseeing und Geselligkeit gebührend verwöhnen.

In wunderbarer Erinnerung ist mir der 10. Mai 2008, als ich mit meinem Kollegen Matthias Gnatzy während unseres Aufenthalts in Nanjing die 江苏省国画院 Akademie für chinesische Malerei der Provinz Jiangsu (manchmal auch Kunstakademie der Provinz Jiangsu genannt) besuchen konnte.

Damals war ich so vom Hier und Jetzt eingenommen, dass ich mir wenig Gedanken über die Geschichte der Akademie machte. Tatsächlich wirkte eine beeindruckende Zahl von berühmten chinesischen Malern an der Akademie. Zu den Gründungsmitgliedern im Jahr 1960 gehörten 张文俊 Zhang Wenjun (1918-2008), 傅抱石 Fu Baoshi (1904-1965) und 钱松岩 Qian Songyan (1899-1985), alle in den 1960er Jahren des letzten Jahrhunderts Vertreter der so genannten „新金陵画派 Neuen Qinling Schule“. Diese war ursprünglich in den 1920er Jahren gegründet worden und mit so berühmten Namen wie 徐悲鸿 Xu Beihong und 张大千 Zhang Daqian verbunden. Bis 2019 war 周京新 Zhou Jingxin (1959-) Präsident der Akademie. Er ist vor allem für seine Personenmalerei bekannt.

Das Taxi brachte uns am frühen Nachmittag die Straße hinauf zur Akademie in der Hugulu in der Nähe des Qingliang Shan Parks (清凉山公园), westlich vom Stadtzentrum Nanjings gelegen. Dort erwartete uns ein wunderschönes Anwesen mit einem Garten im Suzhou-Stil. Wir waren zu viert: Kunstlehrer Chen von der Partnerschule in Nanjing, Matthias Gnatzy und ich, Kunstlehrer und Chinesischlehrerin unserer deutschen Schule, und als Gastgeber der Maler Shi Yongcheng.

Mit dem Maler Shi Yongcheng vor dem Eingang der Akademie

Shi Yongcheng, den wir im Lauf des Nachmittags kennenlernten, wurde 1943 geboren. Nach seinem Kunststudium am Nanjing Normal College (1986) kam er an die Akademie, wo er bis zu seiner Pensionierung in leitender Position tätig war. Neben anderen Aufgaben im Kunstmanagement war er lange Jahre Vizepräsident der Jiangsu Flower and Bird Painting Research Association.

In einem Atelier, zurückhaltend möbliert mit Möbeln im Mingstil, wurden wir eingeladen, dem Schaffensprozess von Maler Shi beizuwohnen. Er malte zwei Bilder für uns, die uns schließlich als Geschenk überreicht wurden. Währenddessen tauschten sich die Malerkollegen angeregt über Kunst aus, ich durfte als Dolmetscherin fungieren. Die Atmosphäre war so heiter gelassen, wie ich das in China immer wieder erlebt habe. Trotz aller Geschäftigkeit im Alltagsleben finden Chines*innen Ruhe und meditative Entspannung in traditionellen Beschäftigungen wie beispielsweise der Malerei und der Kalligrafie. Wir wurden ganz selbstverständlich aufgenommen, ohne große Worte, mit echter Herzlichkeit.

Matthias Gnatzy als Beobachter des Schaffensprozesses
Dem Künster über die Schulter geblickt

Matthias erhielt als Geschenk das Gemälde mit Rebstock. Kein Wunder, denn Shi Yongcheng hat sich als Vertreter der chinesischen Blumen- und Tiermalerei einen Namen gemacht. Auf den Webseiten der Akademie über Shi Yongcheng wird sein Bezug zur Tiermalerei folgendermaßen beschrieben:
Seit der Tang-Dynastie hat sich innerhalb der chinesischen Malerei ein eigenständiger Zweig der Vogel- und Tiermalerei entwickelt, es gab seitdem in allen Generationen berühmte Tiermaler. (…) Die von Shi Yongcheng dargestellten Tiere verkörpern das Streben von der Imagination bis zur Erschaffung: Bildnerischer Realismus gepaart mit der Schönheit der wahren Form und des guten Geistes, was keine leichte Aufgabe ist, wie das alte Sprichwort sagt: „Für den Maler sind Götter und Geister einfach zu malen, Hunde und Pferde jedoch schwierig; der Betrachter kennt diese Dinge, daher ist es schwierig, mit falschem Pinselstrich das Echte wiederzugeben“.

Erinnerung an einen sehr schönen Moment

Mein Bild erinnert an die Reisen des Malers in die Wüstenregionen Chinas. Sehr viele chinesische traditionelle Maler haben in den vergangenen Jahrzehnten dieses Sujet gewählt, um sich von den großen Naturräumen Chinas inspirieren zu lassen und diese dem chinesischen Publikum nahezubringen.

Das Bild hängt bis heute gerahmt bei uns im Wohnzimmer.

Zum Schluss überreichten wir unsere Geschenke, künstlerische Fotos von Matthias und Kunstpostkarten. Außerdem natürlich Württembergischer Wein, wenn auch in minimalistischer Form. Keine adäquaten Geschenke, wo wir so verwöhnt wurden? Es zählt die Geste, die Geschenke kommen von Herzen: Beide Seiten verbindende Kunst sowie Wein als Produkt unserer Region.

Kunstlehrer Chen sind wir bis heute dankbar dafür, dass er diesen Besuch für uns möglich gemacht hat.

Die beiden Gastgeber im Garten der Akademie