Ich lese gerne. Lesen bildet. Deshalb möchte ich heute ein Buch empfehlen, das einen Einblick in die chinesische Kultur erlaubt und das außerdem ein Baustein zum Verständnis von China sein kann. Das Buch heißt: Die Legende der Adlerkrieger. Geschrieben hat es Jin Yong. Die Lektüre ist für viele Lesergruppen interessant, meiner Ansicht nach auch für Geschäftsleute, die in China tätig sind.
Jin Yong ist der in Asien meistgelesene chinesische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er hat insgesamt 15 Romane geschrieben und man spricht von 300 Millionen verkauften Exemplaren seiner Bücher in Asien. Ich kenne viele junge Menschen aus China, deren Augen vor Begeisterung blitzen, wenn man auf Jin Yong zu sprechen kommt.
Ich habe mich deshalb sehr gefreut, als ich 2018 in Shanghai die englische Übersetzung des Romans gefunden habe. Wie in jedem guten spannenden Roman geht es um den Kampf um Gut und Böse, die Romanhandlung steckt voller Wendungen und ist spannend. Nach dem Lesen hätte ich gerne gleich die Fortsetzung gelesen, ein Zeichen, dass mir der Roman sehr gut gefallen hat. Tatsächlich ist dieser Band der erste Teil einer Trilogie, Band 2 kommt auf Deutsch schon im Mai 2021 heraus, man braucht also nicht so lange zu warten.
Aber erst einmal zu Teil 1 der Trilogie. Ich habe mehrere Lesergruppen ausgemacht, die sich für den Roman interessieren könnten.
Ein Buch für Fantasy-Liebhaber
Gefunden habe ich das Buch in der Buchhandlung in der Abteilung für Fantasy-Literatur, es ist also ein Buch für Fantasy-Liebhaber. Bei der Legende der Adlerkrieger handelt es sich um eine besondere Form der Fantasy-Literatur, der Wǔxiá – Literatur. Wörtlich übersetzt bedeutet wuxia „Ritter (oder Helden) der Kampfkunst“. Diese ritterlichen Helden beherrschen übernatürliche Kräfte, die nicht durch Magie erworben wurden, sondern durch jahrelanges Studium der Kampfkunst, jahrelanger Meditation, es geht darum, das Qi im Körper zu beherrschen.
Ein Buch für Kampfkunst-Fans
Damit ist dieser Roman für alle interessant, die sich für asiatische Kampfkunst interessieren, seien es chinesische Stile wie z.B. Shaolin-Stil, Wingtsun oder Taiji, auch Vertreter von japanischen und koreanischen Kampfstilen finden Freude an den Beschreibungen des Trainings und der zahlreichen Kämpfe. Mir persönlich ist das Kampfgetümmel manchmal zu viel, ich lese das dann quer, aber ich kann die Faszination für dieses Genre, das man hierzulande durch Filme von Jackie Chan oder Bruce Lee kennt, durchaus nachvollziehen.
Ein Buch für Liebhaber der chinesischen Sprache
Jin Yong hat die Trilogie bereits in den 1950er Jahren geschrieben. Sein Stil galt lange als unübersetzbar in westliche Sprachen. Er verwendet vor allem bei der Beschreibung der Kampfkunstszenen spezielle Begriffe, für die man praktisch neue Begriffe „erfinden“ muss. Die erfahrene und renommierte Übersetzerin Karin Betz hat nun eine wunderbare Übersetzung vorgelegt, sehr gut lesbar für das deutsche Publikum und trotzdem sehr nah am Original. Alle, die sich für die chinesische Sprache interessieren, egal ob sie sie sprechen oder nicht, bekommen einen Eindruck von der ausdrucksstarken chinesischen Sprache und Zeichenschrift.
Ein Buch für Geschichts-Fans
Jin Yong verbindet in seinen Romanen eine fiktive Handlung mit einer Epoche der chinesischen Geschichte. Die Legende der Adlerkrieger ist damit eine Empfehlung für Geschichtsfans. Die Geschichte spielt zu Beginn des 13. Jahrhunderts zur Zeit der Südlichen Songzeit. Im Norden Chinas herrscht das Volk der Jurchen, sie hat die Jin-Dynastie etabliert, für die dort ansässige chinesische Bevölkerung eine Fremdherrschaft. Gleichzeitig erweiterten die Mongolen unter Dschingis Khan – der auch im Roman vorkommt – ihren Machtbereich in Nordchina, sie werden ab 1271 als Yuan-Dynastie die Herrschaft in ganz China übernehmen. Eine spannende Zeit!
Worum geht es in diesem Roman? Wie in jedem Wuxia-Roman kämpfen die ritterlichen Helden gegen die korrupte Obrigkeit, hier am Kaiserhof der Song, der sich den Jurchen als Vasallenstaat angedient hat. Teil 1 der Trilogie beschriebt die Jugendjahre des jungen Guo Jing, ein Nachfahre der fiktiven Persönlichkeit Guo Sheng, einem der 108 Räuber aus dem Roman „Die Räuber vom Liangshan-Moor“. Diesen Roman aus dem 14. Jahrhundert kennt in China jedes Kind.
Ein Buch für alle, die sich für die chinesische Kultur interessieren
Es gibt im Roman eine Fülle von Bezügen zur chinesischen Volks- und Alltagskultur und zu chinesischen Legenden, das macht die Romane von Jin Yong für chinesische Leser so spannend. Man sagt, dass Jin Yong in seinen Romanen das kulturelle Erbe China beschreibt und das kulturelle Gedächtnis der Chinesen anspricht. Beim Lesen lernt man so en passant sehr viel über die chinesische Kultur.
Es gibt zum Beispiel eine Szene, in der man auf amüsante Weise sehr viel über die chinesische Trinkkultur erfährt – Geschäftsleute, die in China tätig sind, kennen ja die Trinkrituale – hier finden sie Anklänge in der chinesischen Geschichte. Für das Verständnis Chinas kann ich auch denen, die beruflich mit China zu tun haben, die Lektüre empfehlen – zum Beispiel als Lektüre auf einem Flug nach China.
Das Buch als Gesprächsanlass
Wenn man mit chinesischen Bekannten, Freund*innen oder Kolleg*innen ins Gespräch kommen will, dann kann man sie auf den Roman ansprechen und hat so ein super Gesprächsthema! Chinesen freuen sich in der Regel, wenn man sich für ihre Kultur interessiert und diese schätzt! Kampfkunst ist also ein Bindeglied zwischen Literatur bzw. chinesischer Dichtung, chinesischer Ethik, auch chinesisches Essen und die Kochkunst werden zelebriert. Und die Lektüre und das Gespräch darüber kann Menschen verbinden.
Ein Buch für eine breite Leserschaft
Noch ein letztes Wort zur Leserschaft: In diesem Roman kommen Leser und Leserinnen auf ihre Kosten. Das Kampfgeschehen reizt vielleicht eher die Jungen, es gibt aber im Roman auch vorzügliche Kämpferinnen, die sich durch Mut und Intelligenz auszeichnen und die Mädchen ansprechen. Erwachsenwerden, Liebe und Heirat ist auch bei Jin Yong Thema. Manche sehen den Roman auch als Bildungsroman.
Ab welchem Alter würde ich den Roman empfehlen? Für junge Erwachsene auf jeden Fall. Ich kenne viele Schüler*innen, die gerne zeichnen und Zugang zur chinesischen Kultur über Manga und Anime finden, hier im Roman gibt es viele interessante Charaktere, die man zeichnen kann.
Mein Fazit und ein großes Kompliment an die Übersetzerin
Zugegeben: Wie in anderen Werken ausländischer Literatur (z.B. der russischen) muss man sich zuerst ein Stück weit einlesen, vor allem wegen der Namen. Aber keine Sorge: Zu Beginn des Buches findet man ein Verzeichnis der handelnden Personen und der Personengruppen (also Mongolen, Kampfgruppen etc.), da kann man sich immer wieder orientieren. Außerdem gibt es am Ende ein Verzeichnis mit Anmerkungen, wo Begriffe erklärt sind. Ich würde auch das Vorwort der Übersetzerin Karin Betz empfehlen, das gute Hinweise zur Lektüre bietet.
Eines wünsche ich mir: So bald wie möglich – als Ergänzung zum Roman – eine Hörfassung! Dann hören wir auch die chinesischen und mongolischen Namen der einzelnen Protagonisten, so dass wir uns hier eine Vorstellung vom Klang machen können.
Nach der Lektüre kann man sich die zahlreichen Filme und Serien zum Buch anschauen, die im Internet zu finden sind. Mein Tipp: Unbedingt erst lesen, dann zu den Filmen übergehen, da das Filmgeschehen oft nicht verständlich ist, wenn man die Geschichte nicht kennt. Dank der Filmkunst können die Kampftechniken, z.B. das „Qinggong“, das schwerelose Kämpfen, wunderbar in Szene gesetzt werden. Ich empfehle, den Film auf einem großen Screen anschauen, auf dem Handy kommt das nicht genügend zur Geltung!
Zum Schluss noch einmal ein großes Kompliment an Karin Betz. Wer sich eingehender mit der Übersetzung befassen möchte, findet auf der Webseite Toledo ein Übersetzungsjournal, in dem Karin Betz den Übersetzungsprozess beschreibt, – mit dem schönen Titel „Über die Kinetik von Namen, Körpern und Kulturen. Ein dynamisches Journal zur Übersetzung des Romans „Die Legende der Adlerkrieger“ von Jin Yong (Heyne Verlag)“. Danke auch für diese spannende Lektüre! Wer Karin Betz als Autorin im Gespräch erleben möchte, sei auf die Internet-Seite des Konfuzius-Instituts Frankfurt verwiesen, wo sie auch aus ihrem Roman liest.
Infos zum Roman siehe Die Legende der Adlerkrieger.
Wer zum Vergleich die englische Übersetzung lesen möchte, siehe hier.
Interessant auch eine Online-Präsentation vom November.