In dieser düsteren Zeit, in der mit der landesweiten Invasion Russlands in die Ukraine das grausame Kriegsgeschehen erneut Einzug findet in Europa, möchte ich einen Antikriegsroman aus China empfehlen:

„Schneesturm 1939“ von Xiong Yuqun, aus dem Chinesischen übersetzt von Daniel Fastner, erschienen im OSTASIEN Verlag.

Die Veröffentlichung des Romans auf Deutsch ist sehr gut dokumentiert auf der Seite des OSTASIEN Verlags.

Die Herausgeberin Dorothea Schaab-Hanke schreibt:

„Im Zentrum der Romanhandlung steht ein Massaker, das Soldaten der Kaiserlich-Japanischen Armee im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg (1937–1945) im Herbst 1939 in dem kleinen Ort Yingtian bei Yueyang (Provinz Hunan) an der lokalen Bevölkerung begingen. Der Autor erzählt die Umstände dieses Massakers nicht nur aus der Perspektive chinesischer Protagonisten, sondern auch aus der einer jungen Japanerin, die ihrem Mann nach China folgt und dabei fast ihr Leben verliert.“
(Originaltext mit leichten Kürzungen)

Der Autor Xiong Yuqun beschreibt im Roman die Geschichte zweier Liebespaare, des chinesischen Ehepaares Zhu Yidian und Zuo Kunwei und des japanischen Ehepaares Shuhiro und Chizuko Takeda, im Angesicht der brutalen Kriegsgeschehnisse.

Mit der Wahl seiner Protagonisten entfernt sich der Autor von der chinesischen Lesart des „Widerstandskrieg gegen Japan“, wie er selbst in seinem Nachwort zum Roman schreibt:

„Dass in einem Roman eines chinesischen Schriftstellers über den Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg Japaner eine Hauptrolle spielen, ist ungewöhnlich. (…) Doch wenn die andere Seite außen vor bleibt und man nur selbst über sich schreibt, hat das immer etwas Bedauerliches, man bekommt schwerlich ein Gesamtbild, allzu leicht verkommt dann die Beschäftigung mit dem Krieg zu einem Selbstgespräch. (…) Ich denke, um die beiderseitigen Standpunkte zu überwinden und sich über den Hass zu erheben, darf man nicht nur vom Standpunkt des eigenen Landes und der eigenen Nation, vom Opferstandpunkt ausgehen, sondern muss das Wesen dieses Kriegs verstehen, die Verletzung des Menschlichen durch diesen Krieg.“

Seine literarische Darstellung aus chinesischer und aus japanischer Perspektive bereitete ihm – wie er im Gespräch anlässlich der Buchmesse Frankfurt sagte – auch Kopfzerbrechen. Die engen Vorgaben einer Veröffentlichung in China werden in einem Kommentar bei Xinhua.net zu Xiongs Roman verdeutlicht: „Es gibt in der Antikriegsliteratur ein konstantes Thema, nämlich eine klare und entschiedene nationale Haltung. Es ist für chinesische Schriftsteller unmöglich, über dieses Prinzip hinauszugehen.“ Xiong Yuqun gelingt dieser Spagat, indem er – so die Analyse des Xinhua-Kommentators – in der Figur der Japanerin zeigen kann, dass sie „Zeugin der Grausamkeit des Krieges war und die Wut des chinesischen Volkes sah“, und indem er den Kriegshelden Zhu Yidian und seine entschiedene Haltung im Widerstand gegen die Japaner ins Zentrum der Handlung stellt.

Für mich war besonders eindrücklich zu lesen, wie die japanischen Soldaten von einer Propaganda aus Lügen und nationaler Selbstverherrlichung in den Krieg getrieben wurden. Das ist nicht anders als heute: Damals die Vorstellung, man tue den – kulturell verwahrlosten – Chinesen etwas Gutes, wenn man sie, auch mit Gewalt, mit Japan zu einer „Großasiatischen Wohlstandssphäre“ vereine, heute die Idee, man befreie ein Volk von einem Regime aus Drogenabhängigen und Nazisten und führe sie dem Brudervolk in die Arme – ebenfalls mit roher Kriegsgewalt.

Der Roman zeigt eindrücklich: Als Folge des Krieges werden auch gebildete Menschen mit hohen ethischen Standards zu Kriegsmaschinen und schließlich zu entmenschlichten Teufeln, die Lust am Töten und Quälen finden – dies beschreibt der Autor in der Figur des japanischen Soldaten Shuhiro Takeda. Sage niemand, er sei davor gefeit!

Bei der Lektüre habe ich anfangs immer wieder überlegt, das Buch wegzulegen. Die Beschreibung der Kriegsgräuel über Buchseiten hinweg und immer wieder an verschiedenen Kriegsschauplätzen war so plastisch, so beängstigend – für mich fast nicht zum Aushalten. Geholfen hat mir dabei, dass wir das Buch im Buchclub des Konfuzius-Instituts Frankfurt besprochen haben – danke an diese Stelle an Frau Werum-Wang und an Jonathan Michel, dass sie den Leseclub ins Leben gerufen haben, und danke an die Mitdiskutierenden für die intensiven Diskussionen.

Neben den von ihm selbst präzise erforschten lokalen Kriegsereignissen beschreibt Xiong Yuqun in zahlreichen Bildern die Kulturlandschaft am Miluo-Fluss und Dongting-See mit ihrer reichen Fauna und Flora. Er stellt im Roman zahlreiche Bezüge her zu chinesischen Kulturtraditonen und zeichnet in dem Brüderpaar Zuo den einen als Vertreter der konfuzianischen Morallehre, den anderen als Taoisten. Auch das macht den Roman lesenswert.

Anrührend ist, dass Xiong Yuqun im Roman immer wieder auf die Ähnlichkeit der Kultur und Traditionen des chinesischen und des japanischen Volkes hinweist und auch auf die Ähnlichkeit der Menschen beider Völker. Umso bedrückender ist die Feindschaft zwischen beiden Völkern. Auch hier kann man Parallelen zu der Situation heute ziehen.

Zum Schluss bedanke ich mich bei Dorothee Schaab-Hanke und Martin Hanke, die gemeinsam den OSTASIEN Verlag leiten, dass sie uns die Möglichkeit geben, diesen Roman auf Deutsch zu lesen.