In einem meiner Lieblings-Podcasts „Chinese History Podcast“ von Laszlo Montgomery wurde im September 2019 das Buch „China Tripping. Encountering the Everyday in the People`s Republic“ vorgestellt. Die Idee und die Ausgangsfrage zu dieser Sammlung von Aufsätzen von amerikanischen Wissenschaftler*innen gefällt mir sehr gut: Was waren Ihre „Aha-Momente“ in der Begegnung mit China?

Im Gespräch mit den drei Herausgebern Jeremy A. Murray (California State University, San Bernardino), Perry Link (University of California, Riverside) und Paul G. Pickowicz (University of California, San Diego) werden Beiträge des Buchs vorgestellt, in denen China-Expert*innen aus den USA über ihre kulturellen und sozialen Begegnungen während ihrer Reisen und ihren Aufenthalten in der Volksrepublik reflektieren.

Ausgangspunkt der Überlegung ist: Welche Aha-Momente habe ich in China erlebt? Wann musste ich naive Vorstellungen über China über Bord werfen? Aufgrund welcher Alltagserfahrung habe ich etwas für mein kulturelles Verständnis Essentielles über China erfahren? Wann hat mich Überraschung oder Schock etwas Substantielles gelehrt? Die Erzählungen – durchaus anekdotisch – decken den Zeitraum von 1971 (Lin Biao war noch nicht aus China geflohen) bis in die jüngste Gegenwart (2016) ab.

Besonders schön: Klammer für alle Beiträge ist das Schriftzeichen 悟 wù in der Bedeutung: erkennen, realisieren, sich bewusst werden.

Das Schriftzeichen 悟 im Kalligrafiestil von Wang Xixhi, geschrieben mit dem Zeichenprogramm http://www.diyiziti.com

Nicht alle Geschichten im Buch erfüllen diesen Zweck der (Selbst-)Erkenntnis. Es sind aber auch hervorragende Beiträge dabei, überraschend und erleuchtend. Und natürlich beginnt man selbst zu überlegen: Wann habe ich selbst solche Erfahrungen gemacht, die mich weiter gebracht haben im Verständnis von China?

Dabei ist der Übergang dieser Geschichten zu denen, die in interkulturellen Trainings als Critical Incidents (Kritische Ereignisse) eingesetzt werden, fließend. Im interkulturellen Kontext geht es eher darum, Situationen zu analysieren, in denen Irritationen auftreten. Zumeist kann der/die Agierende die Situation nicht selbst deuten, da das kulturelle Verständnis fehlt. In der Aufsatzsammlung finde ich gelungen, dass man die Situation aus eigener Anschauung erkennt und sich so eine Bewusstseinsänderung einstellt. Ein spontaner, auch tiefgehender, eigentlich immer mit Emotionen verbundener Lernprozess.

Gerne würde ich auch im deutschen Kulturraum solche Geschichten sammeln. Ich bin davon überzeugt, dass es sich lohnt, diese Geschichten zu lesen – entweder um an eigene Erfahrung anzuknüpfen oder von chinesischen Verhältnissen in Raum und Zeit zu hören, wie man China (noch) nicht erlebt hat. Ich habe begonnen, meine eigenen Geschichten zu sammeln.